HIER UND JETZT im Museum Ludwig. zusammen dafür und dagegen

13. November 2021 – 13. Februar 2022

Künstler*innen: Chim↑Pom, Koki Tanaka Mit Fotografien von Minoru Hirata aus der Sammlung des M+: Aktionen der Künstler*innenkollektive Hi Red Center, Sightseeing Art Research Institute, Kurohata, Zero Dimension sowie die Künstler Ushio Shinohara und Kanji Itoi (1963–1969)

Mit der Ausstellung zusammen dafür und dagegen konzentriert sich das Museum Ludwig auf Positionen zeitgenössischer Kunst in Japan und ihre historischen Vorläufer. Ein Ausgangspunkt ist dabei die Betrachtung der Japanischen Avantgarde der 1960er Jahre aus heutigen Perspektiven. Auf welche Entwicklungen der Nachkriegszeit reagierten Künstler*innen damals? Was motivierte ihre aufsehenerregenden öffentlichen Aktionen? Was bewegt das Künstler*innenkollektiv Chim↑Pom und den Künstler Koki Tanaka heute, und wie beziehen sie sich auf diese historische Strömung?

Eine Leihgabe historischer Fotografien von Minoru Hirata ist Ausgangspunkt der siebten Ausstellung der Projektreihe HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Diese stammen aus der Sammlung des Museum M+ in Hongkong, mit dem das Museum Ludwig seit 2018 eine Museumspartnerschaft pflegt. Yilmaz Dziewior: „Durch die Leihgabe des M+ in Hongkong wird deutlich, dass ostasiatische Perspektiven bislang kaum in der Sammlung des Museum Ludwig vertreten sind.“

Die Japanische Avantgarde der Nachkriegszeit entstand im Anschluss an die Besatzung des US-amerikanischen Militärs (1945 bis 1952) und ist eng verknüpft mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neuorientierung Japans in dieser Zeit. Die Demokratisierung des Landes unter dem finanziellen und politischen Einfluss der USA ging mit einem großen ökonomischen Wachstum, sozialen Veränderungen und einer kulturellen Neuverortung einher. Wie eng die Bindung Japans an die USA war, zeigt sich in den beiden Sicherheitsverträgen von 1960 und 1970. Darin wurde unter anderem die Stationierung des US-amerikanischen Militärs festgelegt, die vor allem bei Student*innen und Gewerkschaften auf großen Protest stieß. Die Polizei reagierte hierauf mit heftiger Gewalt. Im gleichen Jahrzehnt bereitete sich Japan auf die Olympischen Spiele in Tokio 1964 und die Expo in Osaka 1970 vor, um das Land möglichst innovativ und attraktiv zu präsentieren.

Auf die gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er-Jahre reagierten junge Künstler*innen – unter anderem die Mitglieder der Kollektive Neo Dada, Hi Red Center und Zero Dimension – mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten in Großstädten wie Tokio, Nagoya und Kyoto. In ihren provokanten Aktionen manifestierte sich der Protest an historisch gewachsenen Problemen, denn die Folgen des Krieges waren weitreichend: die Stationierung des US-amerikanischen Militärs in Japan, Benachteiligungen gegenüber Migrant*innen und die Ungerechtigkeiten der Klassengesellschaft. Die Künstler*innen brachten diese Missstände ans Licht und setzten sich für eine Demokratisierung ein. Die historischen Fotografien aus dem M+ dokumentieren die Aktionen und Performances verschiedener Künstler*innen-Kollektive der 1960er Jahre.

Zwei zeitgenössische Positionen sind diesen gegenübergestellt. Einerseits wird das 2005 in Tokio gegründete, sechsköpfige Künstler*innenkollektiv Chim↑Pom auf humorvolle Weise intervenieren. Ihre Aktionen finden oft außerhalb institutioneller Einrichtungen statt. In ihren ironisch-radikalen Aktivitäten nehmen die sechs Künstler*innen Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen und üben Kritik an der Tabuisierung von den Gefahren der Kernkraft, Armut und anderen gesellschaftlichen Missverhältnissen in Japan. Unter dem Titel Double Stories of Museum Ludwig entwickelt das Kollektiv in Köln eine mehrteilige Arbeit, die verschiedene Austauschprozesse zwischen Innen- und Außenraum ermöglicht. Spontan angefragte Straßenmusiker*innen geben im Museum Ludwig ein Konzert. Die Motive aus Hans Haackes Der Pralinenmeister (1981) aus der Sammlung des Museum Ludwig finden sich auf Verpackungen türkischer Süßigkeiten in der Feinkonditorei Hasan Özdağ auf der Keupstraße in Mülheim wieder. Auch werden fünf Fußballspielerinnen der Frauenmannschaft des 1. FC Köln Ballabdrücke im Ausstellungsraum hinterlassen.

Im Gegensatz zu den unmittelbar vor Ort entwickelten interaktiven Projekten vom Chim↑Pom, plant der Künstler Koki Tanaka (*1975 in Tochigi) seine Arbeiten von langer Hand. Bewusst bringt er Personen unterschiedlicher Generationen und Herkunft zusammen. Häufig dokumentiert und verarbeitet Tanaka die Prozesse der Zusammenarbeit in Form von Foto- und Videoinstallationen. Nicht erst seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima kreisen seine Arbeiten um das Verhalten von Gemeinschaften in Ausnahmesituationen. Wie entwickeln Menschen durch das Verlassen ihrer erprobten Routinen Potentiale des Widerständigen? Die Videoinstallation Abstracted/Family (2019/2020) thematisiert japanische Migrationsgeschichte und den Alltagsrassimus in Japan. Vier Protagonist*innen aus Japan, deren Familien aus Bangladesch, Brasilien, Bolivien und der koreanischen Halbinsel stammen, verarbeiten darin gemeinsam ihre traumatischen Erfahrungen.

Die Ausstellung wurde von Nana Tazuke-Steiniger im Rahmen ihres Forschungsvolontariats Kunstmuseen NRW der Landesregierung Nordrhein-Westfalen entwickelt. Innerhalb dessen kamen sechs junge Wissenschaftler*innen aus NRW zusammen und gründeten eine Initiative zum Thema „Museum der Zukunft“. In der Ausstellung wird ein Manifest dieser Initiative veröffentlicht, das sich mit einer zukünftigen Vision und den Herausforderungen von Museen widmet. Dieses wird ebenso im Ausstellungskatalog publiziert, der zum Ende der Ausstellung erscheinen wird.

Die Ausstellung wird substanziell unterstützt von der Fördergruppe HIER UND JETZT aus dem Kreis der Mitglieder der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig e. V. und der Stiftung Storch. Sie wird zusätzlich großzügig gefördert durch Russmedia, die Pola Art Foundation, die RheinEnergieStiftung Kultur sowie mit einer Sachspende durch das Unternehmen Kunstrasenwelt.

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