Schultze Projects #3
Minerva Cuevas

Novem­ber 2021 – Au­gust 2024

An­läss­lich der drit­ten Aus­gabe der Rei­he Schultze Pro­jects hat Min­er­va Cue­vas (*1975 in Mex­i­co Ci­ty) ein neues Werk speziell für die große Stirn­wand im Trep­pen­haus des Mu­se­um Lud­wig geschaf­fen. Der Name der Rei­he bezie­ht sich auf Ber­nard Schultze und seine Ehe­frau Ur­su­la (Schultze-Bluhm), deren Nach­lass das Mu­se­um Lud­wig ver­wal­tet und zu deren Ge­denken seit 2017 alle zwei Jahre eine kün­st­lerische Po­si­tion ein­ge­la­den wird, eine groß­for­matige Ar­beit für die promi­nente Wand im Trep­pe­nauf­gang anzuferti­gen.

Das fast fünf Me­ter ho­he und an­nährend fün­fzehn Me­ter lange Wan­dre­lief beste­ht aus 48 einzel­nen qua­dratischen Tafeln. Zusam­men for­men sie eine Szenerie, in der un­ter an­derem die Fir­men­l­o­gos von Deutsche Bank, Mas­ter­card, BNP Paribas, Bar­clays, Kredyt Bank S.A., ING-Di­Ba, Com­merzbank und ANZ (Aus­tralia and New Zea­land Bank­ing Group) zu erken­nen sind. Zeichen­haft ste­hen diese für eine alles durch­drin­gende Ökonomie. Mi­tun­ter be­di­e­nen sich diese Lo­gos ein­er an die Na­tur an­geleh­n­ten Sym­bo­lik, wie das Bild des Löwen der ING-Di­Ba Bank, der als „König der Tiere“ wohl die Über­le­gen­heit über alle an­deren Banken sig­nal­isieren soll. Ähn­lich wie bei dem kopfüber ins Bild ra­gen­den Adler von Bar­clays han­delt es sich auch bei der Raubkatze um ein bevorzugt ver­wen­detes Wap­pen­ti­er, das Stärke und Macht repräsen­tiert. Diese aus der aktuellen Fi­nanzwelt stam­men­den Mo­tive kom­biniert Cue­vas mit präkolo­nialen sym­bolischen Repräsen­ta­tio­nen von Got­theit­en aus dem mit­te­lamerikanischen Raum, die sich größ­ten­teils in der Samm­lung des Na­tio­nal­mu­se­ums für An­thro­polo­gie in Mex­i­co Ci­ty befin­d­en. Zu se­hen sind et­wa von links nach rechts die Skulp­tur ein­er stil­isierten Fle­d­er­maus (nach der Maya-Got­theit Ca­ma­zotz), eine Sch­lange, eine lediglich mit einem Len­den­schurz bek­lei­dete Rück­en­fig­ur, ein Hund (nach der aztekischen Mytholo­gie um Auít­zotl), ein am Bo­den lie­gen­der Fisch sowie ein Affe an ein­er Liane aus der Ja­ma-Coaque-Kul­tur. Fast die ge­samte Höhe des Bildes nimmt im recht­en Teil ein ab­s­trahiert­er Maya-Kakaobaum ein.

Was haben diese auf den er­sten Blick vielleicht dis­parat er­schei­nen­den El­e­mente mitei­nan­der zu tun? Über den Ti­tel des Re­liefs von Min­er­va Cue­vas, The En­ter­prise, lassen sich einige lose Fä­den span­nen. Manche wer­den vielleicht zuerst an das gleich­namige Raum­schiff in der US-Fernseh­serie Star Trek denken. Nicht nur fu­turis­tische Fik­tion, son­dern auch konkrete Ex­pan­sions- oder Kolon­isierungsak­tiv­itäten sch­win­gen mit, denn die US-Raum­fahrt­be­hörde NASA gab dem 1977 er­st­mals er­probten Pro­to­typen für die Raum­fähren aus ihrem Space-Shut­tle-Pro­gramm den gleichen Na­men. Hi­erzu passt auch, dass sich „En­ter­prise“ im Deutschen als „Un­terneh­mung“ und „Un­terneh­men“ übersetzen lässt. In der Kom­bi­na­tion von bei­dem schei­nen wir der ei­gentlichen The­matik des Re­liefs näher zu kom­men. Denn ver­schie­dene For­men ökonomisch­er Un­terneh­mun­gen aus un­ter­schiedlichen Zeit­en prallen hi­er un­ver­mit­telt aufei­nan­der. Neben den er­wäh­n­ten Em­ble­men aus der Banken­welt fin­d­en sich mit dem Kakaobaum und den auf den Af­fen und den Fisch gerichteten Pfeilen außer­dem Ver­weise auf frühe – in­di­gene – For­men wirtschaftlichen Han­delns, land­wirtschaftlich­er Ak­tiv­ität und der Jagd.. Bei län­ger­er Be­trach­tung des Re­liefs tritt die kolo­niale ökonomische Aus­beu­tung früher Ge­mein­schaften und ihr­er Kul­turen im­mer deut­lich­er in den Vorder­grund.

In die­sem Sinne ist die aktuelle, speziell für das Mu­se­um Lud­wig ent­s­tan­dene Ar­beit eine lo­gische Fort­set­zung der The­men und Vorge­hen­sweisen, mit de­nen sich Min­er­va Cue­vas in den let­zten zwei Jahrzeh­n­ten beschäftigt hat. Denn die Kün­st­lerin ist bekan­nt für ihre recherche­basierten Pro­jekte, die sie in Form von In­s­tal­la­tion, Per­for­mance, Video und Malerei ausstellt. Ihr In­teresse gilt wirtschaftlichen und ökol­o­gischen Fragestel­lun­gen und deren soziopoli­tischen Ver­flech­tun­gen. Sie un­ter­sucht beispiel­sweise, welche Rolle große multi­na­tio­nale Fir­men in der Nahrungs­mit­telin­dus­trie spielen und wie in die­sem Zusam­men­hang mit natür­lichen Res­sour­cen umge­gan­gen wird. Dabei sind ihre Werke oft hu­mor­voll und ironisch. Im­mer wied­er nimmt sie auch konkret Bezug auf die Orte und Si­t­u­a­tio­nen, im Rah­men der­er ihre Ar­beit­en ent­ste­hen. So funk­tioniert der durch den Kakaobaum hergestellte Ver­weis auf die Pro­duk­tion von Schoko­lade auch als An­spielung auf die Geschichte des Mu­se­um Lud­wig – ent­s­tand doch die In­sti­tu­tion 1976 durch die Schenkung von Peter und Irene Lud­wig, deren Ver­mö­gen sich in er­ster Linie der multi­na­tio­nalen Pro­duk­tion und dem Ver­trieb von Schoko­lade ver­dankte.

Bere­its für die Ju­biläum­sausstel­lung zum 40-jähri­gen Beste­hen des Mu­se­um Lud­wig ent­s­tand eine Ar­beit in Ref­erenz auf die Peter und Irene Lud­wig Stif­tung, die 1982 als Lud­wig Stif­tung für Kunst und in­ter­na­tio­nale Ver­ständi­gung GmbH ge­grün­det wurde. Hi­er­für ent­warf Min­er­va Cue­vas eine In­s­tal­la­tion aus einem sch­warzen rechtecki­gen Holzgerüst mit roten, gel­ben und blauen Far­bakzen­ten, die in ihr­er Kom­po­si­tion an das ab­s­trakte Gemälde von Pi­et Mon­drian Tableau I (1921) erin­n­erte. Dessen Ankauf durch die Stadt Köln war 1967 sehr um­strit­ten. Heute zählt es zu den High­lights der Samm­lung des Mu­se­um Lud­wig. In der In­s­tal­la­tion, ähn­lich wie in eini­gen ihr­er an­deren Ar­beit­en, beschäftigt sich die Kün­st­lerin mit dem ge­sellschaftlichen Potenzial und den Auswirkun­gen kün­st­lerisch­er Praxis. In die­sem Sinne be­greift Min­er­va Cue­vas Kunst als ak­tiv­en Bei­trag zu sozialen Verän­derun­gen. Für ihre bisweilen groß­for­mati­gen Werke be­di­ent sie sich im­mer wied­er auch der Sprache der Wer­bung, das heißt konkreten Marken­l­o­gos, die sie je­doch meist sig­ni­fikant verän­dert. Ihr­er kri­tischen Vorge­hen­sweise fol­gend verdeut­licht Min­er­va Cue­vas mit ihren un­ter­schiedlichen Ar­beit­en die neg­a­tiv­en Auswirkun­gen der Kon­sumwelt und der wirtschaftlichen Aus­rich­tung men­sch­lichen Han­delns auf Ge­sellschaft und Umwelt.

Zu Einze­lausstel­lun­gen von Min­er­va Cue­vas ge­hören un­ter an­derem: Disi­den­cia, Mishkin Gallery, New York, USA (2019); No Room To Play, daad­ga­lerie, Ber­lin (2019); Dis­sidên­cia, Galpão VB – As­so­ci­ação Cul­tu­r­al Video­brasil, São Pau­lo (2018); Fine Lands, Dal­las Mu­se­um of Art (2018); Min­er­va Cue­vas, Museo de la Ci­u­dad de Méx­i­co (2012); Land­ings, Corn­er­house, Manch­ester (2012); S·­COOP, Whitechapel Art Gallery, Lon­don (2010); Min­er­va Cue­vas, Van Abbe­mu­se­um, Eind­hoven (2008); Pheno­m­e­na, Kun­sthalle Basel (2007); Das Ex­per­i­ment 6: MVC Biotech­nolo­gies – Für ein natür­lich­es In­ter­face, Se­ces­sion, Wien (2001); On So­ci­e­ty, MC Kunst, Los An­ge­les (2007); Egal­ité, Le Grand Café–Cen­tre d’art con­tem­po­rain, Saint Nazaire (2007); Sch­warz­fahr­er Are My Heroes, daad­ga­lerie, Ber­lin (2004); Me­jor Vi­da Corp, Ta­mayo Mu­se­um, Mex­i­co Ci­ty (2000).

Ku­ra­tor: Yil­maz Dziewior

Le­sen Sie hi­er ein Ge­spräch von Ku­ra­tor und Mu­se­ums­di­rek­tor Yil­maz Dziewior und Min­er­va Cue­vas über ihren Bei­trag zur Rei­he Schultze Pro­jects.

Über die Schultze Pro­jects

Seit 1968 haben Ber­nard Schultze und seine Ehe­frau Ur­su­la (Schultze-Bluhm) als Kün­stler­paar in Köln gelebt und gear­beit­et. Über Jahrzeh­nte waren sie eine feste Größe im kul­turellen Leben der Stadt und dabei dem Mu­se­um Lud­wig stets in be­son­derem Maße ver­bun­den. So be­her­bergt das Mu­se­um ei­nen Großteil ihres kün­st­lerischen Nach­lass­es. Mit sei­nen seit Be­ginn der 1950er Jahre ent­s­tan­de­nen Ar­beit­en zählte Ber­nard Schultze zu den Pi­onieren des In­formel in Deutsch­land. Das groß an­gelegte Werk­for­mat war für sein Spätw­erk ein zen­traler As­pekt. Es stellt den sub­s­tanziellen Bezugspunkt für die zu den Schultze Pro­jects ein­ge­la­de­nen Kün­stler*in­nen dar.