Joachim Brohm, Ruhrlandschaften, 1981-83

27.6.2020 – 27.9.2020

2006 er­warb das Mu­se­um Lud­wig aus der Se­rie Ruhr­land­schaften von Joachim Brohm (*1955) elf Ar­beit­en, die er zwischen 1981 und 1983 aufgenom­men hat. Ab dem 27. Ju­ni 2020 zeigt das Mu­se­um Lud­wig diese Auf­nah­men in ein­er Präsen­ta­tion im Fo­to­raum.

Die Fo­to­serie eröffnet ei­nen be­son­deren Blick auf die Um­bruch­szeit des Ruhrge­bi­etes. Wirtschaft­skrise und ein um­fassen­der, durch den Ab­bau der Sch­w­erin­dus­trie ein­geleit­eter Struk­tur­wan­del hat­ten in der Ge­sellschaft eben­so wie in der In­dus­trie­land­schaft Spuren hin­ter­lassen. Von den vielen Auf­nah­men des Ruhrge­bi­ets, die zeit­gleich ent­s­tan­den und die Re­gion mit ihren Men­schen und dem All­t­agsleben gleich­sam fo­to­gra­fisch kartierten, un­ter­schei­den sich Brohms Farb­fo­to­gra­fien deut­lich. Häu­fig aus großer Dis­tanz aufgenom­men, zei­gen sie ei­nen weit­en Blick in eine entleerte Land­schaft, in der die De­tails be­deut­sam wer­den. Dazu ge­hört auch, dass die Men­schen sich in den ehe­mals in­dus­triell genutzten und nun zum neuen Ge­brauch freige­wor­de­nen Land­schaften ein­gerichtet haben.

Die Fo­to­gra­fie Es­sen 1982 zeigt zum Beispiel eine beschauliche Win­ter­land­schaft. Sch­littschuh­fahr­er haben sich auf dem Eis des zuge­frore­nen Sees ver­sam­melt und ge­nießen den kal­ten Win­ter­tag. Sie befin­d­en sich in zufäl­liger Anord­nung in der weit­en Land­schaft. Der er­höhte Blick­punkt lässt sie mi­nia­turhaft ausse­hen. Der zuge­frorene Teich scheint sich in einem Zwischen­s­ta­di­um von Na­tur und Kul­tur wie auch in einem Nie­mand­s­land zwischen den mehr und mehr zusam­menwach­sen­den Städten zu befin­d­en. Auch die Fo­to­gra­fie Bochum 1983 zeigt ei­nen solchen Zwischen­zu­s­tand. Wied­er ist von einem er­höht­en Stan­dort aus alles gleicher­maßen in den Blick genom­men, gleichgültig, ob es sich um gril­lende Men­schen in Badeanzü­gen, Zelte oder bunte, park­ende Au­tos han­delt. Die Men­schen haben sich die Land­schaft angeeignet. Sie zeigt über­all Spuren ihr­er Ein­griffe. Ein Graben ist ge­zo­gen, Erde aufge­wor­fen, neue Bäume sind an der Ruhr gepflanzt, die be­gradigt und in ein Be­ton­bett ge­fasst ist. Brohm führt die­s­es Zwischen­s­ta­di­um von Na­tur und Kul­tur mit solch­er Bes­timmtheit vor, dass sich die Unbes­timmtheit der Land­schaft als neuer Imag­i­na­tion­s­raum zu öff­nen ver­mag. Die Ge­gen­den ohne Geschichte und die gesicht­s­losen Orte sind in den weit­en Land­schafts­fo­to­gra­fien aus­ge­breit­et – of­fen für und war­tend auf neue Inbe­sitz­nahme. Auf diese Weise macht die Fo­to­gra­fie Es­sen 1982 mit den Sch­littschuh­fahr­ern auf dem zuge­frore­nen See die Ge­lassen­heit eines nicht durch ökonomischen Sinn und Zweck über­formten Ortes sicht­bar, so dass sich auch Brohms Win­ter­land­schaft in einem ei­gen­tüm­lich paradie­sischen Zu­s­tand befin­d­et.

Brohm, der 1977 bis 1983 Vi­suelle Kom­mu­nika­tion an der Folk­wangschule in Es­sen studierte, sah in die­sen Mo­tiv­en „die Verbin­dung von Freizei­tange­bot und Freizeitin­dus­trie“ doku­men­tiert. Ihn in­spiri­erte da­mals die neue amerikanische Doku­men­tar­fo­to­gra­fie, die nicht mehr heroische Metropolen oder er­habene Na­tur­land­schaften, son­dern Tank­stellen, Park­plätze, Vors­tadt­sied­lun­gen, Mo­tels und Gewer­be­parks in ein­er vom Men­schen verän­derten Na­tur­land­schaft fo­to­gra­fierte. New To­po­graph­ics. Pho­to­graphs of a Man-Al­tered Land­s­cape hieß eine bahn­brechende Ausstel­lung, die 1975 ei­nen Über­blick über diese Doku­men­tar­fo­to­gra­fie gab. Bee­in­flusst von Wil­li­am Eg­gle­s­tons Um­gang mit der Farb­fo­to­gra­fie be­gann er bere­its 1978 noch während des Studi­ums doku­men­tarische Farb­fo­to­gra­fien herzustellen und dabei den ge­samten fo­to­gra­fischen Prozess zu kon­trol­lieren. Mo­tivwahl und die Entschei­dung für die Farb­fo­to­gra­fie waren um 1980 in der west­deutschen Doku­men­tar­fo­to­gra­fie jen­seits des Kun­stkon­textes noch ungewöhn­lich. Erst um 2000, als in der Kunst das Doku­men­tarische ent­deckt wurde, er­hiel­ten auch die Ruhr­land­schaften größere Beach­tung. In der Se­rie Ruhr­land­schaften zeigt Brohm schon sehr früh seine ei­gen­ständige fo­to­gra­fische Hal­tung, mit der er jen­seits der ver­breit­eten stereo­typen Darstel­lun­gen des Ruhrge­bi­etes ei­nen neuen Blick auf die Re­gion zu öff­nen ver­mag.

Ku­ra­torin: Bar­bara En­gel­bach

#brohm #ruhr­land­schaften